Es handelt sich hier um eine Meditationstechnik:
Konzentration mittels Flöte–Spielens. Im Japanischen Zen ist diese
Technik als "Chiku Do" bekannt, als "der Weg der großen Bambusflöte",
und in der Tradition der islamischen Sufis als "Demm": Atem, Lebenshauch.
Für die Kulturen unserer Völker in der
Türkei ist Zen ist nichts fremdes:
Es lebt in Traditionen und Lehren großer Sufis wie Hadschi Bektasch
Veli, Maulana Dschelaladdin Rumi und Junus Emre. Der sufistische Weg des
Atems und der japanische Weg der großen Bambusflöte bilden zusammen
eine der Brücken zwischen den beiden Kulturen. Diese Brücke nenne
ich Ney–Zen, nach der traditionellen
Ney-Flöte der Sufis
(ausgesprochen wie Nej-Sen).
Zum Üben von Ney-Zen brauchst du keine besondere musikalische
Begabung, keine Kenntnisse über die türkische
klassische Musik und keine besonders starke Lunge. Dazu ist auch kein Ney-Flöten-Unterricht
bei einem Meister nötig. Was du allerdings brauchst, ist Geduld, Ausdauer und Bereitschaft,
die alltägliche Hast und Unruhe mal abzulegen.
Dieses Buch stellt sich nicht den Anspruch, eine Methode zum Erlernen
des Ney-Spielens zu sein. Ausgehend von der Tradition des Mevlana-Ordens, kann es dir nur ein
Weggenosse in den allerersten Schritten auf dem Weg des Ney-Spielens sein. Doch als Meditationstechnik
reichen diese ersten Schritte aus.
Die traditionelle Ney umfaßt drei Oktaven. Wir schränken uns
bewußt auf die wenigen tiefsten Töne der ersten Oktave ein. "Demm-Töne"
werden diese genannt. In der Traditionellen Methode bildeten sie den Anfang und die Grundlage des Erlernen
von Ney. Die alten Meister sagten: "Wer die Demm-Töne beherrscht, beherrscht
alle Töne."
Im Rahmen dieses Buchs ist es nicht notwendig, Noten lesen zu können.
Ich habe zwar für die Leser, die Noten lesen können oder es lernen wollen, die Noten
der wenigen einfachen Melodien angegeben, aber außerdem habe ich diese Melodien durch ein einfaches
Zeit-Schema beschrieben, das in wenigen Minuten erlernt werden kann.
Das Wort "Neyzen" (jetzt mal zusammengeschrieben) bedeutet auf
türkisch Ney-Künstler (Aussprache: Nejsen). Wenn nun dein Interesse über
die Ney-Meditation hinausgeht, wenn du die Kunst des Ney-Spielens erlernen und ein wahrer "Neyzen"
werden willst, dann reicht dir dieses Buch sicherlich nicht aus. Dann mußt du (wie bei
jedem Musikinstrument) dich auf eine lange und methodische Arbeit gefaßt machen. Und nach der
traditionellen Methode der türkischen klassischen Musik brauchst du unbedingt einen Meister,
der dich anleitet und dir zum Vorbild wird.
Denen, die jene Grenze überschreiten wollen, empfehle ich das
Buch des Meisters Neyzen Dr. Süleyman Erguner, Ney Metodu
,
1986, Istanbul. Seit der Einführung der Lateinschrift in der Türkei
ist das das einzige Lehrbuch für Ney, das auf wissenschaftliche Arbeit beruht. Das ist auch
das Buch, das in den Musikschulen anderer Länder, in denen Ney gespielt wird, als Lehrbuch
genommen wird. Es ist eine solide Quelle für alle, die die Kunst des Ney-Spielens erlernen wollen,
aber auch für die, die sich über Ney und über die türkische Musik
grundsätzlich informieren wollen.
Wer sich über Zen in der Türkei informieren
will (und der türkischen Sprache mächtig ist), denen empfehle
ich Bücher des Verlags "Yol Yayinlari", Istanbul, insbesondere die
von Ilhan Güngören.
Das vorliegende Buch ist nicht von einem Ney-Meister geschrieben. Es teilt viel mehr
Erfahrungen eines Anfängers mit: Wie ich in meiner Einleitung von 1998 schrieb, hatte ich damals zwar sieben
Jahre Zen-Praxis hinter mir, doch meine Ney-Zen-Praxis erstreckte sich auf
ungefähr ein Jahr. Schon in den ersten Monaten, als ich die Ney in die Hand nahm, habe ich angefangen, meine
Erfahrungen schriftlich festzuhalten. Hindernisse und Schwierigkeiten auf diesem Weg, die Überraschungen, die
auf jede Wende folgten, waren noch frisch in meinem Gedächtnis. Genau diese Erfahrungen wollte ich durch dieses
Buch den Lesern mitteilen und mit ihnen gemeinsam ein unbekanntes Gebiet erforschen.
(Überarbeitet: April, 2001)
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