Setz dich hin...
Wenn du vorhast, Demm zu praktizieren, mit Ney zu
meditieren, dann empfehle ich dir, bevor du das beginnst, zu lernen, "einfach
so" zu meditieren, indem du ruhig da sitzt und still und regelmäßig
atmest. Aber auch später, wenn du regelmäßig Ney–Zen praktizierst,
solltest du mit der Meditation des einfachen Sitzens nicht aufhören:
Täglich vor jeder Ney–Zen–Praxis solltest du – sagen wir mal etwa
zwanzig Minuten – "Zazen" praktizieren, also einfach nur sitzen.
Zazen bildet die Grundlage von Zen:
Ohne etwas zu tun, ohne sich etwas aufzuzwingen, einfach so, ruhig sitzen.
Den Geist von unruhigen Gedanken reinigen. Mit deiner ganzen Aufmerksamkeit,
hundert Prozent das Hier und das Jetzt erleben...
Erst wenn du dieses intensive Lebensgefühl in
dir geweckt hast, wenn dein Geist, dein Körper, dein ganzes Ich bereit
ist, den Augenblick intensiv wahrzunehmen und zu erleben, erst dann solltest
du die Ney in die Hand nehmen...
"Setz dich hin und denke an nichts!"
Wenn du versuchst, dieser Anweisung zu folgen, wird
das einzige Ergebnis, was du erreichst, ein ständiger unruhiger Gedanke
sein: "Bloß nichts denken!" Das größte Hindernis
in Zen ist die Bemühung, den Geist zu kontrollieren.
Doch wenn du diese Kontrolle ablegen willst und dich
bemühst, den Geist nicht zu kontrollieren, wirst du genau an
demselben Punkt landen! Die einzige Regel ist daher: Was du auch denkst,
was dein Geist auch tut, mach dir nichts daraus. Laß deinen Geist
frei, wie ein Kind, das zum Spielen hinausgegangen ist. Er soll herumtoben
und spielen, bis er müde wird. Versucht dein Geist sich zu kontrollieren,
oder hat er sich an einem Gedanken festgebissen, so mach dir nichts daraus.
Nach einer Weile verschwinden auch diese Gedanken, so wie sie entstanden
sind.
Doch du hast auch Freunde, die dir helfen, daß
dein Geist sich nicht an diesem oder jenem Gedanken festkrallt. Dein erster
Freund ist das entschlossene Sitzen: Ruhig, still, möglichst
ohne Bewegung Sitzen.
Ein weiterer Freund ist dein Körper:
Du sitzt ohne Spannung, bequem aber sehr fest. Dein Rücken ist möglichst
aufrecht. Du sollst deinen Körper, mit einem Zen Ausdruck, "unerschütterlich
fest wie ein Berg" wahrnehmen.
Und dein größter Helfer, dich nicht an
einem Gedanken festzukrallen, ist dein Atem: Du beobachtest dein
Atem, ohne es bewußt zu steuern. Du hast das Bewußtsein – nein,
das Gefühl, "Ich atme, also bin ich".
Nehmen wir an, du übst täglich, pünktlich
zur gleichen Tageszeit, genau zwanzig oder dreißig Minuten Zazen.
Du suchst dir eine möglichst stille und ruhige Ecke von vier bis sechs
Quadratmetern aus. Durch einen Wandschirm, oder durch einen unauffälligen
Teppich, oder einfach durch Umstellen der Möbel trennst du die Ecke
von der Umgebung. Bevor du dein Zazen oder Ney–Zen beginnst, räumst
du die Umgebung geduldig auf...
Du kannst auf Knien sitzen, wie die Maulawie, oder
auf einem festen Kissen in Lotus nach Zen Tradition, oder einfach aufrecht
auf einem Stuhl, Füße fest auf dem Boden und ohne den Rücken
anzulehnen. Deine Hände kannst du nach Zen–Stil zusammenlegen, oder
auf den Knien liegenlassen. Deine Augen kannst du nach Zen halb offen halten,
oder nach Yoga schließen... Wichtig ist nur eines: wenn du eine Form
gewählt hast, dann bleibe ihr treu. Das ist vor allem wichtig, um
die Ernsthaftigkeit der Praxis selbst wahrzunehmen.
Das ist auch der Sinn der verschiedenen Formen der
Gottesdienste, religiöser Zeremonien, Rituale in verschiedenen Traditionen.
Der Mensch wiederholt bestimmte Formen mit großem Ernst. An dieser
Ernsthaftigkeit nimmt er die Wichtigkeit der eigenen Praxis wahr, innere
Ruhe zu erlangen, mit der Natur, mit dem Ganzen Eins zu werden, religiös
ausgedrückt, dem Gott zu gelangen.
Da im Verlauf der Weltgeschichte die Religionen leider
immer wieder soziale Funktionen übernehmen, wie z.B. liebende zu verehelichen,
oder Diebe zu bestrafen, gerät diese wesentliche Funktion der religiösen
Praxis aus den Augen.
In Islam gibt es ein Hadith (Wort des Propheten Momammeds),
das in der Regel etwa mit folgenden Worten übersetzt wird:
"Ohne eines ruhigen Herzen soll man nicht beten"
Doch man kann dieses Hadith auch folgender Weise
übersetzen:
"Ein Gebet, welches das Herz nicht beruhigt, ist
kein Gebet"
Nach meiner Auffassung ist das die eigentliche Funktion
aller Gebete, Gottesdienste und Rituale: dem Menschen zu Helfen, Ruhe zu
finden.
Es ist nicht wichtig, für welche Tradition und
für welche Formen du dich entscheidest. Wichtig ist aber, daß
du dich mit einem tiefen Ernst, mit einer unerschütterlich festen
Glaubenskraft an diese Formen zuwendest.
Du setzt dich auf den Boden, oder auf den Kissen,
oder auf einen Stuhl mit dem Gesicht zur Wand in etwa anderthalb Meter
Entfernung von der Wand. Du sitzt möglichst aufrecht, mit geradem
Rücken. Du atmest ruhig und bequem, ohne den Bauch einzuziehen. Und
du beobachtest dein Atem. Nach einer Weile – bei manchen nach kurzer, bei
manchen vielleicht nach wesentlich längerer Zeit – wirst du feststellen,
daß du immer weniger mit der Brust und immer mehr mit dem Bauch atmest
und dein Atem immer tiefer wird. Doch versuche das nicht zu erzwingen.
Beobachte das bloß. Beobachte es mit großer Aufmerksamkeit!
Wenn du willst, versuche deine Atemzüge zu zählen:
Und wenn du bei zehn angelangt bist, fange wieder von vorne an: "EINS..."
Anfangs wirst du vermutlich wegen den vielen Gedanken, die dir den Kopf
füllen, vergessen, weiter zu zählen, bevor du sechs oder sieben
erreicht hast. Du wirst vielleicht auch nicht mehr erinnern können,
welche Zahl du zuletzt erreicht hattest. Oder du erreicht zehn, merkst
das aber nicht, und zählst munter weiter "elf, zwölf..." Mach
dir nichts daraus. In allen diesen Fällen fange einfach geduldig von
vorne an – immer wieder: "EINS...". Nach einer Weile werden deine Gedanken
ruhiger und der schwatzhafte Idiot an deinem Ohr leiser...
Das ist Zen.
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